Foto-Museum Uhingen


Fotohistorische Sammlung G.+ W. Pabst





Wie kam Eastman Kodak nach Stuttgart-Wangen?

 

Diese etwas verschlungene Geschichte begann 1908 in Stuttgart, als August Nagel aus Pfrondorf bei Tübingen (26 Jahre alt) zusammen mit einem Schulfreund die Firma Drexler und Nagel in Stuttgart gründete. Sie hatten mit einer extrem kompakten Plattenkamera namens Contessa (die „Gräfin“) einen solchen Erfolg, dass sie schon 1909 erweitern mussten und dabei den Namen ihres Bestsellers als Firmenname übernahmen.


Eine Anzeige von 1908 der Fa. Drexler & Nagel

(später Fa. Contessa)

Zu sehen ist die Ur-Contessa, die extrem flach, sehr leicht und äußerst preisgünstig war und deshalb ein Riesenerfolg wurde


Das Unternehmen etablierte sich als einer der großen Kamerahersteller in Deutschland, vor allem nach der Fusion von 1919 mit Nettel in Sontheim, die noch eine ganze Skala von hochwertigen Kameras mit in die Ehe brachten.


Contessa-Nettel Cocarette von 1922


1920 begann eine Kooperation mit den Ica-Werken in Dresden. Nach der Weltwirtschaftskrise geriet die deutsche Kameraindustrie in schwieriges Fahrwasser und so schlossen sich 1926 vier bedeutende Werke (Contessa, Ica, Ernemann und Goerz) unter der Führung der finanzstarken Zeiss-Werke (damals ein optischer Betrieb) zur Zeiss-Ikon AG in Dresden zusammen, wobei das „Ikon“ aus dem Zusammenziehen von Ica und Contessa entstand. Das „Con“ oder „Kon“ blieb noch jahrzehntelang ein Bestandteil der Namen von Zeiss Ikon (zB Ikonta, Contax, Contessa, Contina, Contaflex, Contarex). Nach dem Krieg führte dann Zeiss-Ikon die Kameraproduktion in den ehemaligen Contessa-Werken in Stuttgart fort.


Dr. h.c. August Nagel (1882 - 1943)


August Nagel (inzwischen Dr. h.c. von der Uni Freiburg) ging als technischer Direktor und Teilhaber nach Dresden, blieb dort aber nicht lange. Man munkelte, dass es ihn aus Sachsen wieder zu Spätzle und Maultaschen zurückgetrieben hätte. Eher trifft aber zu, dass er als Nicht-Voll-Akademiker unter dem Standesdünkel der Zeiss-Elite gelitten hat. Das mag auch der Grund sein, dass er (bzw. sein Bruder) Geheimverhandlungen mit Agfa aufgenommen hatte. Als sie dabei ertappt wurden, boten die Brüder 1927 innerhalb von 24 Stunden ihren „freiwilligen“ Rücktritt an, der unverzüglich angenommen wurde.

Mit dem Geld aus seinem Anteil an Zeiss Ikon machte August Nagel sofort unverdrossen weiter. Er kaufte in Stuttgart-Wangen an der Ulmer Strasse eine ehemalige Werkzeugfabrik und startete von dort aus eine neue Kameraproduktion, die ihn schnell in die vordere Reihe der Kamera-Anbieter in Deutschland brachte. Nagel war selbst ein guter Konstrukteur, aber er hatte noch einen kleinen Bruder (Paul Nagel), der vieles entwickelte, das dann der große „Patron“ als seine Arbeit ausgab. So wird Paul Nagel auch die Arbeit an der cleveren Pupille (einer 3x4 Kleinkamera) zugeschrieben.


Die Pupille, konstriert von Paul Nagel


 

August Nagel hatte große Pläne, konnte aber mangels Finanzkraft keine großen Sprünge machen. Da ergab es sich, dass der größte Kamera- und Filmhersteller der Welt – die Eastman Kodak in Rochester, NY – in Europa und speziell in Deutschland nach einem Produktionsstandort suchte, da die Lohn- und Produktionskosten damals hier noch deutlich günstiger waren. Kodak selbst war in Berlin schon seit 1896 durch eine Vertriebsgesellschaft vertreten und begann 1927 mit der Produktion von Filmen in Deutschland.

Mit August Nagel wurde man sich einig. Dieser sah vor allem die Chance, etwas von seinen Plänen umzusetzen, da er die Finanzierungssorgen los hatte und er stimmte einer Übernahme unter der Bedingung zu, dass er als Generaldirektor bleiben konnte und in Sachen Entwicklung und Fertigung weiterhin freie Hand hatte. Und damit konnte er dann vor allem den kleinen Bruder Paul daran setzen, das Projekt der preiswerten, aber doch hochwertigen Kleinbildkamera zu realisieren. Das Ergebnis ist eben die Retina, die wirklich Weltgeltung erlangen sollte.


Die August-Nagel-Werke in Stuttgart-Wangen 1942


August Nagel starb 1943 als "Reichswirtschaftsführer" der zwangsverwalteten Kodak AG und erlebte den Untergang seines Werkes nicht mehr. In seine Fußstapfen trat sein Sohn Helmut Nagel, unter dem sich die Kodak AG Stuttgart zu einem der führenden Hersteller für Kleinbildkameras weltweit entwickelte.


Dr. Helmut Nagel († 1996)

Vorstandsvorsitzender der Kodak Werke 1953 - 1979


Die Kodak AG boomte und verbreitete sich auf zusätzliche Gebäude in Wangen und an anderen Standorten. Allerdings verlor man in der Nachfolge von Helmut Nagel die frühere Eigenständigkeit weitgehend und übernahm immer mehr das Programm der Konzernmutter.

Und mit dieser zusammen ist man dann auch richtig verkümmert und heute erinnern nur noch die Gebäude an der Ulmer Straße an die große Vergangenheit.

Aus dem früheren Kodak-Areal ist heute der "Bürocampus Stuttgart-Wangen" mit ca. 30 Firmen und mehr als 1000 Beschäftigten geworden.


Das Kodak-Gebäude in Stuttgart-Wangen 2008 (oben)

und der heutige "Bürokampus Stuttgart-Wangen" (unten)

(Text Jost Simon)